Nachhaltigkeit in Unternehmen

Vom Reporting zur Steuerung

Für das mittelständische Industrieunternehmen NETZSCH bedeutet Nachhaltigkeit weit mehr, als gesetzliche Anforderungen zu erfüllen und pflichtbewusst Reports abzuliefern. NETZSCH hat ESG (Environment, Social, Governance) ins Zentrum der Unternehmensstrategie gerückt und langfristige Ziele definiert, die für Management und Mitarbeitende aller Standorte gelten. Auf dem Weg zu einem verbindlichen und prüfsicheren Nachhaltigkeitsmanagement stand Lufthansa Industry Solutions (LHIND) beratend zur Seite.

Johann Vetter, Leiter Nachhaltigkeitsmanagement der NETZSCH Gruppe, und Ulrike Stroh, ESG-Expertin bei LHIND, sprechen im Interview über ihre Zusammenarbeit und darüber, wie aus gutem Willen eine echte Nachhaltigkeitsstrategie wird.

Herr Vetter, inzwischen ist ESG bei NETZSCH strategisch verankert. Was bedeutet das konkret?

Johann Vetter: Uns reicht es nicht, dass unser Firmenlogo grün ist, wir gute Slogans verbreiten und saubere Berichte abgeben. Wir sind ein traditionsreiches Familienunternehmen, das einen Beitrag leisten will, damit diese Welt auch für die folgenden Generationen lebenswert bleibt. Dafür leisten all unsere internationalen Standorte ebenso ihren Beitrag wie unser deutsches Headquarter. Einige Guidelines werden vorgegeben – dafür ist der Nachhaltigkeitsbericht (ESRS) maßgeblich – einige Initiativen werden dezentral gestartet und umgesetzt.

Wie holen Sie die Mitarbeitenden ins Boot?

Johann Vetter: Entscheidend ist, dass der Einstieg und die Umsetzung möglichst einfach sind. Die Kolleg:innen auf allen Kontinenten müssen verstehen, wohin unsere Reise geht, welchen Beitrag sie zu leisten haben, aber auch, was sie davon haben. Damit wir das als komplette NETZSCH Gruppe einheitlich machen und uns alle damit identifizieren, richten wir Informationsveranstaltungen, Schulungen und Aktionsprogramme aus. Die Beteiligung an den Aktionsprogrammen zur Reduktion der CO2-Belastung oder des Stromverbrauchs wird zukünftig von der Geschäftsführung belohnt, indem zum Beispiel selbstgewählte Nachhaltigkeitsprojekte vor Ort subventioniert werden.

Die Digitalisierung ist der Schlüssel, um ESG handhabbar zu machen.

Johann Vetter
Leiter Nachhaltigkeitsmanagement der NETZSCH Gruppe

Welche Auswirkungen hat das auf das ganze Unternehmen?

Johann Vetter: Während wir gemeinsam unseren CO2-Fußabdruck verbessern, uns sozial engagieren und Gleichberechtigung und Diversität fördern, prägen wir unsere Unternehmenskultur und stärken das Wir-Gefühl. Trotzdem geht es um Zahlen, Daten, Fakten. Die Zahlen sind da. Man muss sie nur nutzen. Die Ziele sind festgelegt. Daraus werden Maßnahmen abgeleitet – jeweils in Fünf-Jahres-Schritten. Ein Ziel ist, dass wir als Gruppe 2045 klimaneutral sein wollen. Dafür investieren wir unter anderem in effiziente Gebäude und Maschinen. Und das Geld muss verdient bzw. anderer Stelle eingespart werden. Das heißt, hier geht es nicht um Reporting, sondern um Unternehmenssteuerung.

Welche Rolle spielen Daten und Technologie, um Nachhaltigkeit wirklich steuerbar zu machen?

Johann Vetter: Die Digitalisierung ist der Schlüssel, um ESG handhabbar zu machen. Komplexe gesetzliche Anforderungen, wie die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) in Kombination mit unserer dezentralen Unternehmensstruktur mit 53 Standorten in 36 Ländern, hat uns vor Herausforderungen gestellt. Wir müssen die erforderlichen Daten aus Einkauf, HR, Controlling, Produktion und so weiter erheben, zusammenführen und für die CSRD-konformen Berichte aufbereiten. Um diesen Prozess effizient abzubilden und gleichzeitig eine ganzheitliche ESG-Strategie zu entwickeln, setzen wir verschiedene Tools ein und haben mit Expert:innen der Lufthansa Industry Solutions zusammengearbeitet. Besonders hilfreich war dabei, dass das Team von LHIND nicht nur theoretisches Wissen hat, sondern auch praktische Beispiele liefert.

Wie sah die Unterstützung von LHIND konkret aus?

Ulrike Stroh: Im ersten Schritt führten wir gemeinsam mit dem Nachhaltigkeitsteam der NETZSCH Gruppe eine doppelte Wesentlichkeitsanalyse durch, die die Basis für alle weiteren Aktivitäten im Bereich ESG bildete. Es folgten eine CSRD-Fit-Gap Analyse, die EU-Taxonomie-Bewertung sowie die Erfassung aller relevanten Daten für den Nachhaltigkeitsreport. Kürzlich hat NETZSCH ihren ersten CSRD-Report veröffentlicht und hat direkt das Prüfsiegel der Wirtschaftsprüfer erhalten.

Das Reporting war jedoch, wie Johann Vetter bereits beschrieben hat, nur ein Meilenstein. Der NETZSCH Gruppe ging es um mehr: Eine zukunftsfähige Aufstellung und echte Nachhaltigkeit, die etwas bewegt. Daher haben wir, basierend auf den wesentlichen Handlungsfeldern, eine individuelle ESG-Strategie mit konkreten, messbaren Zielen und Zielpfaden entwickelt. Daraus wurden im Folgenden konkrete Maßnahmen abgeleitet. Darüber hinaus haben wir bei der Berechnung der CO2-Fußabdrücke für verschiedene Produkte unterstützt und gemeinsam die indirekten Emissionen nach Scope 3 des Greenhouse Gas Protocol erfasst. Letzteres ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum vollständigen Corporate Carbon Footprint.

Schließlich haben wir das Team so aufgestellt, dass es diese Berechnungen nun selbstständig weiterführen kann.

Erst wenn Nachhaltigkeit ins Zentrum der Unternehmensstrategie gerückt und als Teil des unternehmerischen Erfolgs wahrgenommen wird, bewegt sich wirklich etwas.

Ulrike Stroh
ESG-Expertin bei LHIND

Wie wurde das bei NETZSCH wahrgenommen?

Johann Vetter: Anstelle eines vorgefertigten Systems erhielten wir vom LHIND-Team eine individuelle Begleitung durch unseren Prozess. Uns wurde erklärt, was zu tun ist und wie es funktioniert. Dann mussten wir unseren eigenen Weg gehen.

NETZSCH geht mit gutem Beispiel voran. Woran hakt es in anderen Projekten?

Ulrike Stroh: In der Zusammenarbeit hat sich gezeigt, dass die Geschäftsführung der NETZSCH Gruppe echtes Interesse am Thema Nachhaltigkeit hat, welches deutlich über die Pflichterfüllung hinausgeht. Dadurch wurde es zu einem Querschnittsthema, das Fachbereiche, IT und Management verbindet. Erst wenn Nachhaltigkeit ins Zentrum der Unternehmensstrategie gerückt und als Teil des unternehmerischen Erfolgs wahrgenommen wird, bewegt sich wirklich etwas.

Projekte scheitern häufig, weil Verantwortlichkeiten unklar sind oder Nachhaltigkeit zu stark in einer einzelnen Funktion verortet ist, beziehungsweise weil das Thema als „nettes Add-On“ zum eigentlichen Geschäft, oder als Maßnahme zur Reputationssteigerung oder bürokratische Pflichtübung verstanden wird.