Interview “Digital Twin” Solution in der Logistik

Die Realität optimieren – dank des »Digitalen Zwillings«

Der »Digital Twin« ist eine der großen Erfolgsgeschichten der Industrie 4.0. Insbesondere für die Logistik birgt das virtuelle Simulieren von komplexen Prozessen in Echtzeit ein enormes Potenzial. Interview mit Ralf Struckmeier, Vizepräsident Lufthansa Industry Solutions (LHIND)

Ralf Struckmeier, was genau versteht man unter einem »Digitalen Zwilling«?

Es handelt sich dabei um die virtuelle Abbildung eines realen Objektes oder Prozesses. Man kennt das unter anderem aus der Maschinenindustrie. Auf diese Weise ist es möglich, ein Objekt optimal in Echtzeit zu monitoren. Viel spannender ist allerdings die Tatsache, dass man diverse Szenarien simulieren kann: So erlaubt es der »Digital Twin« etwa, die Auswirkungen neuer Parameter auf bestehende Abläufe durchzuspielen.

Das klingt wie geschaffen für die Logistik.

Das ist es auch! Schließlich werden logistische Prozesse von hochkomplexen Zusammenhängen und Dynamiken bestimmt. Wird ein Glied der Supply Chain nur minimal verändert, können dadurch weitreichende Kaskaden-Effekte entstehen. Der »Digital Twin« ermöglicht es Unternehmen, ihre Prozesse virtuell abzubilden, Veränderungen vorzunehmen und sich auf diese Weise reales Optimierungspotenzial zu erschließen.

Ralf Struckmeier - Vice President Logistics bei LHIND

Der »Digital Twin« ermöglicht es Unternehmen, ihre Prozesse virtuell abzubilden, Veränderungen vorzunehmen und sich auf diese Weise reales Optimierungspotenzial zu erschließen.

Ralf Struckmeier, Vice President Logistics

Wie kann man sich die Implementierung vorstellen?

Am Anfang jeder Supply Chain steht das vertreibende Unternehmen. Nehmen wir an, eine Firma muss mehrere hundert Filialen weltweit bedarfsgerecht mit Waren versorgen. Da stellen sich komplexe Fragen. Dank des »Digital Twins« können die Verantwortlichen die individuellen Laufzeiten der Güter bis zum Eintreffen in jeder einzelnen Filiale exakt simulieren – und somit verbessern. In der internationalen Logistik gelangen Waren vom Produktionsstandort meist über ein »Hub« auf die sogenannte »lange Strecke«. Das kann etwa bedeuten, dass Güter in einem Hafen auf ein Containerschiff verladen werden oder dass sie über einen Flughafen den Luftweg antreten. Natürlich kommt der »Digitale Zwilling« auch in diesen Hubs zum Tragen.

Und wie genau?

Am virtuellen Modell lässt sich unter anderem die optimale Beladung eines Containerschiffs errechnen. Und nicht nur das: Man kann auch das »Vorstauen« ideal gestalten, sprich die Art und Weise, wie die Container am Hafen aufgetürmt werden. Dies hat zur Folge, dass der Beladeprozess sowie das anschließende Löschen der Ladung am Bestimmungsort maximal-effizient ablaufen können.

Wie sieht es mit der »kurzen Strecke« beziehungsweise mit der letzten Meile aus?

Hier entfaltet der »Digital Twin« ebenfalls seine Wirkung, etwa durch die Fahrroutenoptimierung in Echtzeit: Je nach Situation, Zeitdruck sowie Verkehrslage können Dispatcher individuelle Fahrzeuge nach Priorität einteilen. Wer etwa verderbliche Waren transportieren muss, bekommt eine Fast Lane – die anderen Fahrzeuge können etwas länger warten. Dieser völlig neue Grad an Information und Transparenz führt auch zu einer Verminderung der CO2-Emissionen. Denn wenn wir exakt abschätzen können, welche Lastwagen, Schiffe, Flugzeuge etc. die nächsten Time Slots an den großen Warenumschlagplätzen der Welt rechtzeitig erreichen – und welche nicht –, können wir viele Transportwege enorm entschleunigen: Das »Wettrennen« um die Slots nimmt ab und damit auch der Verbrauch von Kraftstoff. In dieser Vermeidung von Verbrauch liegt das große Nachhaltigkeitspotenzial der Logistik-Digitalisierung.

Wie setzt Lufthansa Industry Solutions die Implementierung des »Digitalen Zwillings« für Kund:innen um?

Das unterscheidet sich von Fall zu Fall. Große Enterprise-Unternehmen verfügen meist über die notwendigen Ressourcen, weswegen wir hier oft eine beratende Rolle einnehmen. Mittelgroße Betriebe hingegen begleiten wir oft über den gesamten Prozess hinweg: Das reicht von der Problemdefinition über das Proof of Concept bis hin zur Umsetzung der finalen Digital-Twin-Lösung. Dass wir von LHIND in der Lage sind, alles aus einer Hand zu bieten, ist dabei stets ein immenser Vorteil.