„Konkrete Geschäftsziele in maßgeschneiderte IT-Lösungen überführen“
Mit über 3.000 Mitarbeitenden hat sich Lufthansa Industry Solutions (LHIND) längst auch außerhalb des Lufthansa-Konzerns einen Namen gemacht. Im Interview erläutert LHIND-Geschäftsführer Dietmar Focke, warum die Übersetzungsleistung zwischen Business und IT der kritische Erfolgsfaktor ist, und welche Chancen in Zukunftstechnologien wie Agentic AI und Quantencomputing liegen.
Dietmar, vor deiner Zeit bei LHIND hast du viele Jahre auf Kundenseite gearbeitet. Wenn du heute ein IT-Projekt beauftragen würdest, was wären deine Erwartungen an den Dienstleister?
Neben solidem IT-Wissen vor allem die Fähigkeit meinen Business Case zu verstehen und in die IT zu übertragen. Statt sofort in die technologische Tiefe zu gehen, sollte die erste Frage lauten: „Was wollen Sie geschäftlich erreichen?”. Diese Übersetzungsleistung zwischen Business und IT ist der kritische Erfolgsfaktor. Reine IT-Kompetenz haben viele. Oft fehlt jedoch die Fähigkeit, Geschäftsprozesse in maßgeschneiderte, praktikable IT-Lösungen zu überführen.
Das setzt voraus, auch die Welt der Endkunden zu verstehen. Wie tief muss dieser Transfer gehen?
Sehr tief – bis zum Endnutzer. Die größte Schwäche vieler IT-Projekte besteht darin, dass sie zu sehr aus der Perspektive des Auftraggebers gedacht werden. Funktionalität allein reicht aber nicht aus. Wenn ein digitalisierter Prozess am Ende nicht für die Person funktioniert, die ihn tatsächlich nutzt, dann scheitert er. Für alle Tools gilt: Sie werden erst dann als gut empfunden, wenn sie einfach, intuitiv und adaptiv sind. Ein IT-Dienstleister sollte in der Lage sein, zu sagen: „Ich kann dir das so umsetzen, dass dein Kunde – intern oder extern – den tatsächlichen Nutzen erkennt und die Lösung wertschätzt.“
Neben generellen Themen hat jede Branche auch ihre eigenen Herausforderungen. Wie stellt sich LHIND darauf ein?
Indem wir uns bewusst auf ausgewählte Branchen fokussieren: Aviation, Logistik, Mobility, Industrie, Retail, Energy/Environment und Health. In diesen Bereichen kennen wir uns aus, dort können wir mitreden. Zudem setzen wir auf langfristige Partnerschaften, in denen Vertrauen und Verständnis wachsen können.
Die Technologie-Expertise gilt als das größte Asset von LHIND. Was macht das Unternehmen in diesem Bereich so besonders?
Unser Erfolg basiert auf einem über Jahrzehnte gewachsenen, stabilen technologischen Fundament. Wir haben eine gut geordnete Technologielandschaft mit verschiedenen Providern, Tools, Systemen und strategischen Partnerschaften aufgebaut. Unser Team deckt die gesamte Bandbreite ab – von der klassischen Brandschutzanlage bis hin zu Künstlicher Intelligenz (KI) und Quantencomputing. Diese außergewöhnliche Tiefe und Breite ermöglicht es uns, für jeden Kunden die optimale Lösung zu entwickeln.
Ein IT-Dienstleister sollte in der Lage sein, zu sagen: „Ich kann dir das so umsetzen, dass dein Kunde – intern oder extern – den tatsächlichen Nutzen erkennt und die Lösung wertschätzt.“
Dietmar Focke , LHIND-Geschäftsführer
Stichwort KI: Wie positioniert sich LHIND bei dieser Zukunftstechnologie?
Wir betrachten KI nicht als isolierte Technologie, sondern als Bestandteil umfassender digitaler Lösungen mit echtem Mehrwert für unsere Kunden. Deshalb entwickeln wir hybride Ansätze, die KI mit weiteren digitalen Bausteinen verknüpfen. Eine weitere Stärke liegt in strategischen Partnerschaften mit den führenden Technologieanbietern. Während diese die technologische Basis liefern, bringen wir unser Branchenwissen ein und entwickeln kundenspezifische Anwendungen. Aktuell verzeichnen wir unsere höchsten Wachstumsraten in den Bereichen KI, Automatisierung und Plattformintegration. Das bestätigt unsere Strategie, Technologien intelligent zu orchestrieren.
Kannst du ein konkretes Beispiel für erfolgreich umgesetzte KI-Lösungen nennen?
Ein Beispiel ist die intelligente Steuerung von Passagierströmen, die bereits auf Kreuzfahrtschiffen und in Flughäfen zum Einsatz kommt. Das Herzstück unserer Lösung ist ein Digital Twin: Wir erstellen eine digitale Abbildung der gesamten Infrastruktur und kombinieren historische Daten mit Echtzeitanalysen. Ganz konkret: Das Bordrestaurant im Bug füllt sich rapide, während das Restaurant im Heck noch wenig frequentiert ist. Unsere KI erkennt diese Entwicklung frühzeitig und löst automatisch Gegenmaßnahmen aus, um die Passagiere elegant umzuleiten. Das Ergebnis ist eine höhere Kundenzufriedenheit durch kürzere Wartezeiten sowie insgesamt mehr Umsatz in den Bordrestaurants.
Agentic AI ist die nächste Evolutionsstufe der Künstlichen Intelligenz. Was wird sich dadurch in den Unternehmen verändern?
Agentic AI trifft eigenständig Entscheidungen und lernt kontinuierlich dazu. Im Gegensatz zu heutigen KI-Anwendungen entwickeln sich diese Systeme also selbstständig weiter. Dies ist ein Paradigmenwechsel mit weitreichenden Folgen, da diese kontinuierliche Optimierung im Hintergrund stattfindet. Agentic AI wirkt dabei zwar ähnlich wie klassische Verbesserungsmethoden. Doch was früher manuelle Prozessoptimierung war, läuft jetzt autonom und automatisiert ab. Der entscheidende Vorteil liegt in der Geschwindigkeit und Konsistenz, mit der gelernt und optimiert wird.
Ein weiteres Thema mit großem Potenzial ist Quantencomputing. Aus deiner Sicht schon mehr als Zukunftsmusik?
Die theoretischen Erkenntnisse dieser Technologie werden zunehmend in die Praxis überführt. In der Pharmaforschung könnten Quantencomputer beispielsweise Experimente, für die heute Jahre benötigt werden, innerhalb weniger Wochen durchführen. Ähnliches gilt für die Entwicklung von Hochleistungswerkstoffen oder effizienteren Batterien. Besonders spannende Einsatzmöglichkeiten sehe ich zudem in der Logistik sowie in der Luftfahrt – beides Gebiete, die wir weiter ausbauen und dabei auch auf neue Technologien setzen. So ist etwa die Zuteilung der Gates an Flughäfen ein hochkomplexes Problem mit unzähligen Variablen. Quantencomputer könnten diese in Echtzeit optimieren. Gleiches gilt für die Flugroutenoptimierung.
Mit LHIND sind wir als Teil von QUTAC (Quantum Technology and Application Consortium) ganz vorne mit dabei. In diesem Zusammenschluss führender deutscher Unternehmen verfolgen wir das Ziel, Quantencomputing aus dem Labor in die Praxis zu bringen.
Um das langjährige Hype-Thema Nachhaltigkeit ist es zuletzt scheinbar etwas ruhiger geworden. Spielt es derzeit noch eine Rolle bei den Kunden?
Absolut, aber nicht als Hype oder Schlagwort, sondern als echter Effizienztreiber. Denn fehlende Nachhaltigkeit verursacht messbare Kosten. Viele Unternehmensprozesse können nachhaltiger – und damit kostengünstiger – gestaltet werden. Wenn wir Nachhaltigkeit betriebswirtschaftlich erklären und nachweisen können, wird sie vom vermeintlichen Kostenfaktor zum Wettbewerbsvorteil.
Der IT-Dienstleistungsbereich ist geprägt von schnellem Wandel. Wie kann LHIND bei diesem Tempo aus Ideen neue Produkte entwickeln?
Am Anfang steht meist ein konkreter Kundenbedarf. Auf dieser Grundlage entwickeln wir zunächst eine maßgeschneiderte Einzellösung. Erhalten wir ähnliche Anfragen häufiger und erkennen ein Muster, kann daraus ein standardisiertes Produkt entstehen. Unsere Technologie-Division beobachtet zudem permanent neue Entwicklungen, bewertet sie und integriert sie strategisch in die Organisation. Unser Portfolio muss lebendig bleiben.
Mir geht es darum, dass gute Ideen ungehindert ihren Weg nach oben und zum Kunden finden.
Dietmar Focke LHIND-Geschäftsführer
Wie sieht dein mittelfristiges Zielbild für LHIND aus?
Unser Anspruch ist es, als digitaler Backbone der Lufthansa Group deren Transformation maßgeblich mitzugestalten. Dabei machen wir konzerninterne Erfahrungen und Lösungen auch externen Kunden zugänglich, während Erkenntnisse aus dem externen Geschäft wiederum der Lufthansa Group zugutekommen. Als Unternehmen streben wir ein dynamisches, profitables Wachstum an. Von 1.200 Mitarbeitenden vor gut zehn Jahren sind wir heute bei über 3.000 angelangt. Diese Erfolgsgeschichte setzen wir mit klarem Branchenfokus und technologischer Exzellenz sowohl konzernintern als auch extern fort.
Findet diese Entwicklung auch international statt?
Auf jeden Fall. Mit Nearshoring in Albanien sowie Standorten in der Schweiz und den USA schaffen wir die notwendige internationale Präsenz. Gerade bei großen Industrieprojekten ist ein globaler Footprint heute keine Option mehr, sondern eine klare Kundenanforderung: Offshoring hat sich vom „Nice-to-have” zur strategischen Notwendigkeit entwickelt.
Dynamisches Wachstum und Internationalisierung fordern eine Organisation ja auch heraus. Welche Rolle spielt hierbei die LHIND-Unternehmenskultur und was prägt sie?
Da wir geschäftsbedingt sehr verteilt arbeiten, ist unsere Kultur der soziale „Kleber“. Deshalb achten wir stark darauf, dass sich unsere Mitarbeitenden bei LHIND wohlfühlen und sich weiterentwickeln können. Wir haben vier Werte definiert, die das Fundament bilden: Empowered, Committed, Courageous und Responsible. Dieser Wertekosmos ist von großer Bedeutung, denn gerade in der IT-Beratung sind die Mitarbeitenden der entscheidende Erfolgsfaktor.
Jeden Monat esse ich mit den neuen Mitarbeitenden zu Mittag – sehr inspirierende Treffen mit vielen interessanten und authentischen Menschen. Diese Vielfalt unterschiedlicher Biografien bereichert uns enorm und macht unsere Beratung besser.
Hast du dich selbst oder deinen Führungsstil auch schon verändert?
Selbstverständlich. Ich lerne täglich von meinem jungen Team und kleide mich sicherlich anders als noch in vorherigen Funktionen. Ich bin aber auch schon früher kein Anhänger von Hierarchien gewesen. Mir geht es darum, dass gute Ideen ungehindert ihren Weg nach oben und zum Kunden finden.
Wie würdest du LHIND in einem Satz beschreiben?
Eine hochkompetente, kundenorientierte IT-Beratung mit echtem Mehrwert – verankert in langjähriger Erfahrung, getragen von Vertrauen und gelebter Partnerschaft.