Auf den Hamburger IT-Strategietagen hat Dr. Susan Wegner, Vice President Artificial Intelligence & Data Analytics, gemeinsam mit Dr. Johannes Klepsch, Head of Product Emerging Technologies bei BMW, eine Keynote zum Thema Quantencomputing gehalten. Wir haben bei Susan Wegner nachgefragt, welchen konkreten Nutzen Unternehmen für die betriebliche Praxis gewinnen können und was wir jetzt schon tun müssen, um uns auf den kommerziellen Einsatz vorzubereiten.
Quantencomputing: „Es ist wichtig, jetzt schon die ersten betrieblichen Anwendungen zu entwickeln“
Quantencomputing wird als die nächste technologische Revolution bezeichnet, vergleichbar mit dem Entwicklungsfortschritt vom Abakus zum Computer. Was genau ist das Revolutionäre an dem Quantencomputer?
Quantencomputer basieren auf einem ganz anderen Modell. Klassische Computer funktionieren mit Bits, also auf den zwei separaten Zuständen Null und Eins. Beim Quantencomputer arbeiten wir mit dem Qubit, das quantenmechanische Pendant zu den Bits. Es beschreibt über eine bestimmte Zeitspanne auch die Zustände, die zwischen Null und Eins liegen. Erst in dem Moment der Messung geht das Qubit dann in einen der beiden klar definierten Zustände über, sodass man das Messergebnis in einem „klassischen“ Bit speichern kann.
„Es ist wichtig, jetzt schon die ersten betrieblichen Anwendungen zu entwickeln, um starten zu können, sobald die Technologie breitflächig zur Verfügung steht.“
Dr. Susan Wegner, Vice President Artificial Intelligence & Data Analytics
Welche Vorteile ergeben sich daraus?
Durch Quantencomputer können mehrere Berechnungen gleichzeitig vorgenommen und massive Datenmengen leichter und schneller bearbeiten werden. Durch die simultane Verarbeitung ergibt sich eine exponentielle Geschwindigkeitssteigerung, so können beispielsweise optimale Routen für die Luftfahrtindustrie, aber auch für Logistikunternehmen, für alle Flugzeuge oder Fahrzeuge, parallel in Echtzeit statt sequentiell berechnet werden. Weiterhin sind wir heute in der Chipentwicklung bereits an die physikalische Grenze gestoßen. Dieses Problem haben wir bei Quantencomputern nicht mehr, d.h. die Rechenkapazitäten können entsprechend weiter ausgebaut werden.
Gibt es auch Risiken, die mit dieser Technologie einhergehen?
Ja, es werden Sicherheitsrisiken für ältere Systeme entstehen, die auf den heutigen Verschlüsselungsalgorithmen basieren. Mathematischen Verfahren müssen es in endlicher Zeit maximal unwahrscheinlich machen, eine richtige Lösung zu erraten. Steigt die Rechenleistung jedoch deutlich an, werden ältere Verfahren an ihre Grenzen stoßen und durch neue, leistungsfähigere Methoden abgelöst werden müssen. Unsere IT-Sicherheitsspezialisten arbeiten deswegen heute schon an der Evaluation dieser neuen Algorithmen und helfen, diese zu implementieren.
Wie weit sind wir in der Entwicklung?
Wir sind schon fortgeschritten, aber ganz sicher noch in den Kinderschuhen. Bei sehr speziellen, auf Quantencomputer zugeschnittenen Aufgaben ist ein Quantencomputer aber auch heute schon dem klassischen Computer überlegen. Ein Beispiel: Mit den 54-Qubit-Prozessoren von Google löst der Quantencomputer eine konkrete Aufgabe aus dem Bereich der Zufallsgenerierung in 200 Sekunden, der klassische Computer dagegen würde für die gleiche Aufgabe 10.000 Jahre benötigen. Das Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, jetzt schon die ersten betrieblichen Anwendungen zu entwickeln, um starten zu können, sobald die Technologie breitflächig zur Verfügung steht.
Woran arbeitet Lufthansa Industry Solutions konkret?
Wir konzentrieren uns derzeit auf Anwendungsfelder in der Luftfahrtindustrie. Ein Use Case beschäftigt sich mit der Optimierung von Flugplänen. Hierbei handelt es sich um ein klassisches Optimierungsproblem: Es ist zeitkritisch, es gibt eine hohe Anzahl und Vielfalt von Flugrouten und unterschiedliche Flugzeug-Typen – von der Frachtmaschine bis zum Passagierflugzeug. Die Implementierung auf einem klassischen Computer hat gezeigt, dass dieser durch die hohe Komplexität der Informationen an seine Kapazitätsgrenzen gestoßen ist und wir deshalb die Informationen, die wir zur Modellierung verwendet haben, entsprechend reduzieren mussten. Wir sind jetzt dabei, unterschiedliche Quantencomputer-Technologien auszuprobieren um herauszufinden, welche am besten für diese Anwendung geeignet ist.
Ein weiteres Beispiel ist die Flugroutenplanung. Es ist seit neuestem möglich, dass Luftfahrtgesellschaften ihre Flugrouten leicht variabel gestalten können und diese nicht nur dediziert vorgegeben werden. Gleichzeitig werden Flugrouten auf kurze Reisezeit, minimalen Kerosinverbrauch und Klimaeffekt optimiert. Dafür müssen ebenfalls in Echtzeit eine Vielzahl von Informationen verarbeitet und berechnet werden. Wir arbeiten daran, die Berechnungen auf unterschiedlichen Architekturen zu implementieren, um die beste Architektur und den besten Algorithmus entwickeln zu können.
Gehe ich dabei in der Entwicklung ähnlich vor wie bei einem klassischen Computer?
Nein, man muss physikalisch ansetzen, komplett anders denken, anders modellieren und vor allem Erfahrungen sammeln und ein Vorteil ist, sich mit anderen austauschen. Es handelt sich um eine vollkommen neue Technologie und diese muss erst verstanden und in der Praxis erprobt werden.
Hat sich deshalb auch Lufthansa Industry Solutions als Mitglied dem Quantum Technology & Application Consortium (QUTAC) angeschlossen?
Ja, unbedingt. Denn als Einzelkämpfer kommen wir hier nicht weiter. Kollaboration und Transparenz ist insbesondere im Bereich Quantencomputing unabdingbar. QUTAC hat zum Ziel, die technische Souveränität von Deutschland und Europa voranzutreiben und eine Aktionsplattform aufzubauen, um die industrielle Nutzung nach vorne zu bringen. Dabei liegt der Fokus nicht in der Hardware, sondern in der Anwendung und Entwicklung von betrieblichen Cases. Es geht darum, Wissen aufzubauen, Erfahrungen zu sammeln und auch junge Talente für die neue Technologie zu gewinnen und zu begeistern.
Lufthansa Industry Solutions ist ein Dienstleistungsunternehmen für IT-Beratung und Systemintegration. Die Lufthansa-Tochter unterstützt ihre Kunden bei der digitalen Transformation ihrer Unternehmen. Die Kundenbasis umfasst sowohl Gesellschaften innerhalb des Lufthansa Konzerns als auch mehr als 300 Unternehmen in unterschiedlichen Branchen. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Norderstedt beschäftigt über 2.100 Mitarbeitende an mehreren Niederlassungen in Deutschland, Albanien, der Schweiz und den USA.