LHIND-Experten im Gespräch

Quantencomputing: „Enormes Potenzial bei Optimierungslösungen“

Deutschland forscht bereits seit langem intensiv an Quantencomputern, auch erste kommerzielle Anwendungen gibt es schon. Doch die internationale Konkurrenz schläft nicht. Bernhard Kube, Chief Technology Officer (CTO) bei Lufthansa Industry Solutions (LHIND), und Joseph Doetsch, Data Scientist und LHIND-Experte für Quantencomputing, empfehlen daher, bei der Entwicklung fachbereichsorientierter Quantum-Anwendungen weiter aufs Tempo zu drücken.

Bernhard Kube und Joseph Doetsch zum Thema Quantencomputing

Norderstedt, 8. Juni 2023 – Das Thema Quantencomputing wird zwar intensiv diskutiert, aber gleichzeitig oft in die ferne Zukunft verlegt. Manche Aussagen klingen eher wie Science-Fiction. Was ist wirklich dran?

Bernhard Kube: Quantencomputing ist keine Fiktion, aber bisher in erster Linie Science gewesen, also ein reines Forschungsthema – hoch interessant, aber mit wenig praktischem Nutzen. Das hat sich jetzt geändert, viele Unternehmen suchen nach kommerziellen Einsatzmöglichkeiten. Und natürlich sind auf der Anbieterseite die üblichen Verdächtigen wie IBM, Microsoft, Google und Amazon mit von der Partie. Die gute Nachricht: Es gibt in Deutschland eine Vielzahl an Startups, die bereits praktische Anwendungen für Quantencomputer entwickeln. Und auch zahlreiche etablierte Namen aus der deutschen Wirtschaft sind aktiv und haben sich vor einiger Zeit im Quantum Technology and Application Consortium (QUTAC) organisiert. Neben beispielsweise Bosch, Trumpf, SAP und Volkswagen ist auch LHIND Teil dieses Konsortiums.

Joseph Doetsch: Alle forschen an Anwendungen für Quantencomputer und einige haben sehr vielversprechende Anwendungen identifiziert, beispielsweise bei der Simulation neuer Materialien. Dies ist einer der Bereiche, bei denen zuerst der praktische Quantenvorteil erwartet wird: Ein Entwicklungszustand von Quantencomputern, bei denen sie herkömmlichen IT-Systemen bei praktisch relevanten Problemen überlegen sind. Hier wird erwartet, dass sie dann nicht nur ein bisschen besser, sondern viele zehntausendmal leistungsfähiger sind.

Wie machen Quantencomputer das? Können Sie das möglichst einfach erklären?

Joseph Doetsch: Ich versuche es mal, aber in einer sehr verkürzten Version.
Grundeinheit des Quantencomputing ist das Qubit (kurz für Quantum Bit). Das klassische Bit der herkömmlichen IT kennt nur einen Zustand, mit den Werten 0 oder 1. Demgegenüber kann ein Qubit sehr viele Zustände haben. Dadurch ist die hohe Leistung von Quantencomputern möglich, die alles bisher Bekannte in der Computertechnologie übertrifft.

So lassen sich Quantencomputer nur bis zu einer Kapazität von ungefähr 35 Qubit auf den aktuell schnellsten „klassischen“ Supercomputer simulieren. Wichtig: Aufgrund seiner anderen Systematik sind allerdings auf dem Quantencomputer nicht dieselben Anwendungen wie auf dem Supercomputer möglich. Für viele Aufgaben sind deutlich mehr Qubits erforderlich.

Ein Beispiel zeigt die Dimensionen: Eine der größten Gefahren von Quantencomputing ist das Knacken von Verschlüsselungen. Es gibt überschlägige Rechnungen, welche Leistung ein Quantencomputer mitbringen muss, um beispielsweise ein RSA-Kryptosystem auszuhebeln. Das Ergebnis: Etwa 4.000 Qubits sind nötig. Damit ein verwertbares Ergebnis herauskommt, müssen diese aber fehlerkorrigiert sein. Dafür sind pro Qubit weitere 1.000 Qubits notwendig.

Bernhard Kube: Insgesamt müssten dafür also mehrere Millionen Qubits arbeiten. Davon sind wir im Moment noch weit entfernt. Doch angesichts der Fortschritte ist es nur eine Frage der Zeit, bis Quantencomputing herkömmliche Verschlüsselungssysteme komplett nutzlos macht. Das bedeutet aber nicht, dass Verschlüsselung künftig überhaupt nicht mehr möglich sein wird. Im Gegenteil: Es gibt bereits jetzt quantensichere Verschlüsselungssysteme. Unternehmen müssen sich darauf vorbereiten, diese auch einzusetzen. Damit müssen wir jetzt beginnen – nicht erst, wenn der Quantenvorteil auf Seiten der Angreifer auf unsere Sicherheitsarchitektur liegt.

Das zeigt auf jeden Fall, dass der Einsatz von Quantencomputern nicht so einfach ist wie der von herkömmlichen IT-Systemen. Wie schnell wird denn die Entwicklung gehen? Gibt es so etwas wie das Mooresche Gesetz für Quantencomputer?

Bernhard Kube: Es ist schwierig, eine Entwicklung vorherzusagen, geschweige denn eine Gesetzmäßigkeit zu erkennen. Zumal wir uns beim Thema Quantencomputing in einem Stadium befinden, in dem auf der Suche nach der besten Architektur teilweise noch Grundlagenforschung erfolgt. Sobald sich aber eine Variante als die beste herauskristallisiert hat, erwarte ich für die weitere Entwicklung der Quantencomputer etwas Ähnliches, wie wir es beim Mooreschen Gesetz gesehen haben.

Joseph Doetsch: In den nächsten Jahren müssen wir in der Tat noch einige praktische Probleme lösen. So gibt es konkurrierende Hardware-Konzepte. Es ist noch offen, welches sich letztlich durchsetzen wird oder ob sie parallel nebeneinander betrieben werden. Außerdem ist unklar, ob sich das Quantencomputing Schritt für Schritt entwickeln wird oder ob es zu großen Sprüngen kommt. Wenn die Forschung beispielsweise einen Weg findet, die Fehlerkorrektur zu vereinfachen, dürfte sich die Entwicklung auf einen Schlag stark beschleunigen.

Welche Möglichkeiten haben Quantencomputer bereits jetzt? Wo erwarten sie in der nächsten Zeit erste kommerzielle Einsatzgebiete?

Bernhard Kube: Als Berater und IT-Dienstleister für die Wirtschaft interessieren uns besonders Optimierungslösungen. Hier sehen wir ein enormes Potenzial, das Quantencomputer bereits in naher Zukunft verwirklichen können. Viele Optimierungen etwa in der Produktion oder der Logistik lassen sich mit relativ kleinen Quantensystemen lösen. Es gibt bereits Quantenalgorithmen, die besser skalieren als die klassischen Optimierungsverfahren.

Joseph Doetsch: Allerdings darf man sich ihren Einsatz nicht so vorstellen, wie das bei traditionellen IT-Systemen der Fall ist. Im Moment ist das alles noch eine sehr hardwarenahe Programmierung, wofür Spezialisten mit dem entsprechenden Physik-Know-how notwendig sind. Und die eigentlichen Quantencomputer werden auf absehbare Zeit noch sehr teure Einzelstücke bleiben.

Bernhard Kube: Das bedeutet aber auch, dass Quantencomputing im Moment noch eher eine Sache für große Unternehmen ist. Durch unser Beratungs- und Projektportfolio bieten wir als LHIND auch dem Mittelstand die Möglichkeit Anwendungsfälle von Quantencomputing zu evaluieren und auf Quantencomputer zuzugreifen. Unter den DAX-Konzernen gibt es einige, die am Thema dran sind, allerdings mit noch vergleichsweise kleinen Teams. Um diese Ressourcen zu bündeln und schneller voranzukommen haben wir QUTAC gegründet.

Zusätzlich geht es dem Konsortium auch darum, die Politik davon zu überzeugen, Teil dieser Quantum-Strategie zu werden. So gibt es am 14. Juni beispielsweise unter dem Titel „Zukunftspotenziale von Quantencomputing für die deutsche Wirtschaft" einen parlamentarischen Abend in Berlin.

Wir sind in Deutschland bei der Forschung an Quantencomputern international gut aufgestellt. Diese Position sollten wir durch Forschungsförderung weiter ausbauen. Außerdem sollten wir mit Priorität kommerzielle Anwendungen für unsere Unternehmen entwickeln. Aktuell gibt es bereits einige vielversprechende Projekte, mit denen wir uns auch in der Praxis an die Spitze setzen und dort behaupten wollen.

Unsere Angebote

Lufthansa Industry Solutions bietet mittelständischen Unternehmen über Workshops die Möglichkeit in das Thema Quantencomputing einzusteigen und Anwendungsfälle in weiterführenden Projekten zu implementieren und zu evaluieren.

Unsere Workshops zu den folgenden Themen:

  • Basiswissen: Funktionsweise von Quantencomputing und seine Auswirkungen auf verschiedene Branchen und Geschäftsfelder
  • Geschäftsindikatoren: Aktueller Stand und konkrete Maßnahmen in Industrie und Wissenschaft
  • Technologie & Herausforderungen: Mögliche Implementierungen und aktuelle Einschränkungen

  • Identifikation von Anwendungsfällen im Unternehmen
  • Bewertung der Realisierbarkeit der potenziellen Anwendungsfälle
  • Entwicklung einer Quantum Roadmap
  • Vorbereiten und Auswählen von Anwendungsfällen für Proof-of-Concept-Studien

  • Proof-of-Concept-Implementierung der ausgewählten Anwendungsfälle
  • Benchmarking von Quantenlösungen im Vergleich zu klassischen Lösungen
  • Gemeinsamer Coding-Workshop
  • Simulation von Quantenalgorithmen auf Hochleistungsrechnern
  • Algorithmus-Ausführung der Anwendungsfälle auf Quanten-Hardware
Über Lufthansa Industry Solutions

Lufthansa Industry Solutions ist ein Dienstleistungsunternehmen für IT-Beratung und Systemintegration. Die Lufthansa-Tochter unterstützt ihre Kunden bei der digitalen Transformation ihrer Unternehmen. Die Kundenbasis umfasst sowohl Gesellschaften innerhalb des Lufthansa Konzerns als auch mehr als 300 Unternehmen in unterschiedlichen Branchen. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Norderstedt beschäftigt über 2.300 Mitarbeitende an mehreren Niederlassungen in Deutschland, Albanien, der Schweiz und den USA.