Ist der Vorwurf, dass der EU AI Act Innovationen ausbremse, gerechtfertigt?
Maximilian Kiener: Der AI Act muss kein Innovationshemmnis sein, sondern bietet Chancen für Wettbewerbsvorteile. Er fordert genau das, was Responsible AI ausmacht: Sicherheit, Verantwortung und Governance. Europas Stärke liegt in der ganzheitlichen Bewertung von KI – technologisch, ethisch und regulatorisch. Unternehmen müssen ohnehin verantwortungsvoll mit KI umgehen, statt blind APIs einzubinden.
Alois Krtil: Ein konkretes Beispiel dafür: Erst heute war ich in einem Workshop mit einem Mittelständler für KI-Abbiegeassistenten – ein sicherheitskritischer Bereich, der höchste Anforderungen an Security, Safety und Robustheit stellt. Dieser Mittelständler sieht regulatorische Anforderungen als Qualitätsmerkmal – ein Gütesiegel für Vertrauenswürdigkeit. Das Logo der Responsible AI Alliance wird mit Stolz getragen, da es ihre Position als verlässlicher Anbieter stärkt. Die Mitgliedschaft ist ein Marktvorteil, der garantiert, dass ihre Modelle frei von fragwürdigen Datenquellen sind. Ihre KI-Lösungen erfüllen europäische Standards und beweisen ihre Sicherheit und Zuverlässigkeit.
Maximilian Kiener: Die RAI Alliance kann hier viel bewirken, steht aber vor komplexen Herausforderungen. Responsible AI wird oft als übergeordnetes Prinzip verstanden, dabei umfasst erfolgreiche Regulierung vielfältige Werte und Anforderungen. Sicherheit darf nicht zum alleinigen Maßstab werden – das würde den Diskurs einengen. Die Stärke der RAI Alliance liegt gerade darin, diese Vielfalt der Werte zu bewahren und zu fördern.
Braucht es mehr Pragmatismus und Experimentierfreude in Sachen KI?
Michael Koch: Insgesamt herrscht in Europa eine größere KI-Skepsis als in den USA. Im Unternehmensalltag zeigt sich: Bei drei Viertel der KI-Anwendungen gibt es Widerstände in der Belegschaft. Die RAI Alliance kann hier Vertrauen schaffen. Viele Unternehmen zögern noch beim breiten KI-Einsatz aus Unsicherheit über verantwortungsvolle Implementierung. Der Schlüssel liegt im pragmatischen Ansatz: Nicht jedes Unternehmen braucht sofort eine KI-Abteilung, aber alle benötigen eine KI-Strategie. Schulungen und interner Kompetenzaufbau sind die ersten wichtigen Schritte.
Alois Krtil: Die rasante technologische Entwicklung verstärkt diese Dynamik. War generative KI vor wenigen Jahren noch ein Experimentierfeld, ist sie heute Alltag. Unternehmen sollten sich von regulatorischen Unsicherheiten nicht lähmen lassen, sondern in kontrollierten Umgebungen KI-Integration testen. Die RAI Alliance kann dabei helfen, Best Practices zu etablieren und den Dialog aktiv mitzugestalten.
Maximilian Kiener: Die Entwicklung von KI ist nicht nur Sprint, sondern auch ein Marathon – es geht um nachhaltige Systeme statt kurzfristige Effizienzgewinne. Innovation und Ethik sind dabei untrennbar verbunden: Ethik steckt bereits in der Wertschöpfung, die über rein ökonomische Ziele hinausgeht. Das Bild eines Zirkuszelts verdeutlicht die Herausforderung: Schnell aufgebaut, zieht es Besucher an, hinterlässt aber nur plattgetretenes Gras. Alternativ könnte man ein nachhaltiges Gebäude errichten – das dauert länger, aber es bleibt bestehen. Europa braucht beide Aspekte: agile Experimente für kurzfristige Innovation und gleichzeitig den Aufbau langfristig tragfähiger Strukturen.